Montag, 30. Mai 2016

jer me se tice / weil es auch mich betrifft....


Jedes Jahr reihen sich ab April traurige Jahrestage aneinander und regelmässig sitze ich am Abend davor wie gelähmt am PC überlege, wie ich am besten darüber schreibe. Es ist ein schmaler Grat zwischen dem in der "Vergangenheit hängen bleiben" und an die Opfer zu erinnern. Schwarze Tage waren es, an denen der Krieg sein hässlichstes, menschenverachtendes Gesicht zeigte. Blutdurchtränkte Tage waren es, an denen unschuldige Menschen ihr Leben verloren. Diese Menschen, Opfer eines Krieges, wie er grausamer kaum hätte sein können, verdienen es, dass man ihrer gedenkt, denn vergessen wir sie, sterben sie ein zweites Mal...
Morgen jährt sich wieder einer dieser traurigen, schwarzen Tage: 
Am 31. Mai 1992 erliessen die bosnoserbischen Behörden der Stadt Prijedor, im Nordwesten Bosnien und Herzegowinas, folgendes Dekret: alle nicht-serbischen Bewohner Prijedors sind verpflichtet, ihre Häuser mit weissen Fahnen oder Tüchern zu markieren und müssen ein weisses Armband tragen, wenn sie ihre Häuser verlassen. Mitglieder einer Beobachtungsmission der Europäischen Kommission bezeugten, dass sie bei ihrem Besuch von gemischten serbisch-muslimischen Dörfern im August 1992 sahen, dass Häuser von Muslimen mit weissen Fahen gekennzeichnet waren, um sie von Häusern von Serben zu unterscheiden. Dies war der erste Tag einer Vernichtungskampagne, die zu Massenerschiessungen, Errichtung von Konzentrationslagern, Massenvergewaltigungen und zur definitiven Vetreibung von mehr als 94% der bosnischen Muslime und bosnischen Kroaten vom Gebiet der Gemeinde Prijedor führte. Seit dem NS-Dekret von 1939, das polnische Juden verpflichtete ein weisses Armband mit einem blauen Davidstern zu tragen, handelte es sich hier um das erste Mal, dass Mitglieder einer ethnischen oder religiösen Gruppe in dieser Weise für die Vernichtung gebrandmarkt wurden. Ermordet wurden die Menschen dort in der Regel in einem der vielen Todeslager. „Omarska", „Trnopolje" und Keraterm sind nur einige in der Gegend gewesen. In ihnen wurden die Insassen gefoltert, vergewaltigt und ausgehungert. Anschließend wurden sie in einem der vielen Massengräber verschachert. Zuletzt hatten Ende 2013 internationale Experten in Tomasica, in einer nahe gelegenen Ortschaft von Prijedor, ein solches entdeckt - darin die Überreste von über 400 Leichen.
Und auch wenn die Verfolgung von Nicht-Serben in Prijedor wurde vom Internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien als objektiver Tatbestand (actus reus) einer Völkermordhandlung eingestuft wurde, die Hinterbliebenen kämpfen bis heute um Gerechtigkeit. Die lokalen Behörden weigern sich, die in Prijedor begangenen Verbrechen öffentlich anzuerkennen, trotz zahlreicher Urteile von internationalen und nationalen Gerichten. Die Errichtung von Denkmälern zu Ehren der Opfer wurde verboten, und der Zugang zu den Orten ihres Leidens wird den Opfern verweigert, beispielsweise von Arcelor Mittal, einem Unternehmen, dem nun das Terrain des früheren Konzentrationslagers in Omarska gehört.
In Gedenken an die Opfer, in Gedanken bei den Hinterblieben, in der Hoffnung, dass sich Geschichte nicht wiederholt, werde auch ich mir ein weisses Band um den Arm binden. Nicht, weil ich in der Vergangenheit lebe, sondern weil ich um jeden Unschuldigen trauere, dem sein Leben genommen wurde. #jermesetice!