Mittwoch, 24. Januar 2018

egal, wie lange man bleibt - es ist immer zu wenig 6.Teil



weiter geht's...

... als Nächstes steht Sarajevo an und ich freue mich auf liebe Menschen, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Mittags komme ich an und treffe als Erstes Latif. Wir haben uns vor Jahren in Stuttgart bei einem Benefizkonzert zugunsten der Einrichtung "Izlaz" in Sarajevo kennengelernt. Er fragt direkt nach meiner Kleinen, mit der ihn wunderschöner Moment bei dem besagten Konzert verbindet. Sie war damals gerade mal neun Monate alt und wir standen hinter der Bühne. Bei meinem Lieblingslied "Sjeme"


das ich mir in der Schwangerschaft gefühlte 1000 Mal angehörte hatte, fing sie so laut an zu lachen und vor Freude zu glucksen, dass er sich mitten im Lied kurz umdrehte und sie verdutzt ansah. Eine schöne Erinnerung, sagt er, die ihm heute, 5 Jahre später immer noch ein Lächeln ins Gesicht zaubert
Nach dem Kaffee habe ich noch zwei Stunden Zeit bis zum nächsten Date, ich bummel die Bascarsija entlang, es ist voll, Menschen reden, lachen, Touristen machen Fotos, ich betrachte sie und geniesse es, dieses Gewusel wie in einem Bienenstock. 

 
 


Mein Weg führt mich zur Galerija 11/07/95 einer Kunstgalerie, in der Fotos von Ron Haviv und Tarik Samarah ausgestellt sind. Die Galerie ist gut besucht, eine Gruppe englischer Touristen wartet auf die nächste Führung, die Senada übernimmt. Sie erzählt, wie die Fotos entstanden und nennt Fakten, Zahlen zum Genozid damals. Es sind Zahlen, die einem kalte Schauer über den Rücken jagen, angesichts der menschenverachtenden Grausamkeit. Srebrenica war dieses Jahr ein grosses Thema bei mir, dementsprechend emotional reagiere ich auf die Fotos, bei dem Bild links unten, das einen Draht zeigt, mit denen man den Opfern vor der Exekution verband, kommen mir die Tränen und mein Magen schnürt sich zusammen. Die Touristen stellen Fragen und es ist gut, dass sie Fragen stellen und es ist gut, dass es diese Fotos gibt, denke ich mir. Denn je mehr Fragen man stellt, je mehr Fotos es gibt, je mehr Menschen sie sehen, umso weniger werden die Opfer Srebrenicas vergessen... Wer meinen Blog liest, weiss, wie sehr ich gegen das Vergessen kämpfe. Nicht, weil ich in der Vergangenheit lebe, sondern weil ich eine Heidenangst davor habe, dass sich die Geschichte wiederholt, gerade jetzt in einer Zeit, in der wieder nationalistische Schwachmaten rumwursteln, mit nichts anderem als dem Ziel auch das bisschen, was noch übrig ist, zu zerstören...und passenderweise stehe ich in diesem Moment vor einem Bild mit einem Zitat von Edmund Burke: 
Nichts anderes braucht es zum Triumph des Bösen, als dass gute Menschen gar nichts tun.

 

Wieder draussen, inmitten der Menschen, während die Sonnen scheint fühle ich mich für einen kurzen Augenblick wie im falschen Film. Ich mache mir eine Zigarette an und gehe rüber zur Gazi-Husbregov Moschee













Freitag, 26. Mai 2017

über Zumutungen und Mutproben


Jedes Jahr geniesse ich die Tage vor dem Fastenmonat Ramadan, auch wenn diese erstmal stressig sind: Die Wohnung wird auf den Kopf gestellt, geputzt, alles soll wenn möglich perfekt sein. Umso schöner ist das Gefühl, nach getaner Arbeit auf dem Balkon zu sitzen und sich einfach auf die nächsten Wochen zu freuen. Denn der Ramadan ist, finde ich, die perfekte Entschleunigung: Man nimmt sich die Zeit für sich selbst, arbeitet an sich selbst, an seinen Schwächen und räumt die eigene Seele auf. Alles Sachen, die in einem durchgetakteten Alltag zu kurz kommen und auf der Strecke bleiben. Doch vor allem ist das Fasten, der Verzicht eine Liebeserklärung an den Schöpfer: ein Zeichen der Hingabe, der Dankbarkeit. Und auch wenn es ersteinmal nach Zumutung klingt, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, auf Essen, Trinken, Zigaretten usw. verzichten, so sehe und empfinde ich den Ramadan eher als eine Mutprobe, denn tatsächlich stellen diese vier Wochen jede Form des Mutes auf die Probe. Meine persönlichen Mutproben und Herausforderungen sehen so aus, vermutlich findet sich der eine oder andere darin wieder :-)

Sanftmut/Langmut
laut Duden: ruhiges, beherrschtes, nachsichtiges Ertragen oder Abwarten von etwas gekennzeichnete Verhaltensweise; große Geduld - wer mich kennt, weiss ich bin meilenweit davon entfernt :-)


Gleichmut
ruhiger, leidenschaftsloser Gemütszustand, gleiches Problem wie bei Sanftmut/Langmut :-)


Großmut 
edle Gesinnung; Großzügigkeit - etwas, woran man immer arbeiten kann, denn letzten Endes ist Deins, nur das, was Du gibst...


Missmut/Unmut
[starkes] Gefühl der Unzufriedenheit, des Missfallens, des Verdrusses - erster Tag ohne Zigaretten :-)

Hochmut
auf Überheblichkeit beruhender Stolz und entsprechende Missachtung gegenüber anderen oder Gott - keiner, wirklich keiner ist davor gefeit und auch ich erwische mich immer wieder in einem Moment der Selbstgerechtikeit und Arroganz...

Demut
die Einsicht in die Notwendigkeit und im Willen zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit - das Gegengift zum Hochmut, das beste was man im Ramadan lernen kann...

Wehmut
verhaltene Trauer, stiller Schmerz bei der Erinnerung an etwas Vergangenes, Unwiederbringliches - der eine Moment an Bajram, in dem Du an all die lieben Menschen denkst, mit denen Du die Freude nicht mehr teilen kannst....

Zumutung oder Mutprobe, entscheide jeder für sich... ich wünsche allen, die fasten, einen gesegneten Ramadan, den Mutigen gehört die Welt :-)

Dienstag, 15. November 2016

das friedlichste Bier der Welt..

Gute Gespräch erkennt man daran, dass man sie schweren Herzens beendet und sich schon auf die Fortsetzung freut. So ging es mir mit Samir Kadunic, als wir uns letzte Woche  trafen, um über seinen gemeinnützigen Verein recipeforpeace e.V. und das erste Projekt drinkforpeace zu reden. 
Den Verein recipeforpeace e:V. hat er mit Freunden und seinem Bruder Haris gegründet. Ziel des Vereines ist, durch den Verkauf ihrer eigenen Produkte Projekte auf dem Balkan zu unterstützen, die die Völkerverständigung fördern und gerade bei jungen Menschen Vorurteile abbauen. Denn auch wenn der Krieg schon lange vorbei ist, in den Köpfen manch ewig Gestriger herrsche noch immer der Nationalismus. Und genau das will Samir ändern, mit drinkforpeace wollen er und sein Team Brücken schlagen, Menschen verbinden und mit ihrem Konzept, das durch Nachhaltigkeit, politische Neutralität aber vor allem Menschlichkeit geprägt ist, neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit schaffen. 
Auch wenn ich kein Biertrinker bin, so überzeugt mich Samirs Idee mit Genuss Gutes zu tun. Im Gespräch erzählt er, dass er  gemeinsam mit seinem Bruder und mehreren Freunden seit mehr als einem Jahr daran arbeitet. Sie bereisten das ehemalige Jugoslawien und nahmen Kontakt zu mehreren Craft Bier-Brauern auf. "Die Brauer sind eine eingeschworene Gemeinde, die weltweit und über ethnische Grenzen hinweg kooperieren. Das macht sie zu idealen Botschaftern für unser Konzept." sagt Samir " Sie leben für ihr Handwerk und setzen sich für bewussten Konsum von Bier ein."  
In Serbien, Kroatien und Bosnien fanden sie Igor, Vlado und Omer, gemeinsam haben sie das Bierrezept für das friedlichlichste Bier der Welt, wie es Samir mit einem Lächeln nennt, entwickelt. Es wird nach dem Reinheitsgebot gebraut und neben den klassischen Zutaten Wasser, Hefe und Hopfen aus der Region sei die wichtigste: Toleranz.  
Er weiss, wovon er spricht, seine Familie ist (ebenso wie meine) bunt gemischt, ohne Verständnis, Respekt und eben Toleranz ginge es eben nicht. Aus diesem Grund will er auch seinen Teil dazu beitragen und mit drinkforpeace hat er einen ersten wichtigen Schritt in die Richtung getan. Das erste Projekt, das sie mit drinkforpeace unterstützen, ist die Mostar Rock School. Die Mostar Rock School lebe mit ihren Schülern genau das, wofür drinkforpeace steht und setze mit ihren Aktivitäten ein Zeichen gegen den Nationalismus und Hass.
Allerdings bringt das beste Konzept nichts ohne Geld, der Markteintritt steht an, erzählt er zum Schluss des Gesprächs. Dafür muss die Flaschenabfüllung in einer professionellen Abfüllanlage erfolgen. Leider sind diese Abfüllanlagen groß und die Spülverluste beim Reinigen hoch, weshalb sich das Abfüllen damit erst ab 15000 Flaschen (50 hl) lohnt.  Durch Crowdfunding will er bis Jahresende die nötige Summe zusammenbringen, um mit drinkforpeace durchstarten zu können. Ein sportliches Ziel, das allerdings jeder Unterstüzung wert ist! 
Hier ist nun finanzielle Unterstützung gefragt, wer mitmachen und mit Genuss gutes tun will, hat hier die Möglichkeit: https://www.startnext.com/drinkforpeace


In diesem Sinne: cheers und lasst es Euch schmecken :-)

Mittwoch, 19. Oktober 2016

und da stand sie, im Schatten des Jasmins





Seit gestern höre ich es in Dauerschleife und habe jedesmal eine Gänsehaut: den Sevdah-Klassiker "Emina" gespielt und gesungen von Schülern der Mostar Rock School


Emina kennt jeder, der Sevdah hört, ich schätze mal, dass 80% meiner Generation mit diesem Lied aufgewachsen ist.  Aleksa Santic, ein begnadeter Dichter und Poet, dessen Werke noch immer vielen Künstler und Musikern als Quelle der Inspiration dienen, schrieb dieses Lied vor mehr als 100 Jahren:

Sinoć, kad se vratih iz topla hamama, prođoh pokraj bašte staroga imama;

Kad tamo, u bašti, u hladu jasmina, s ibrikom u ruci stajaše Emina.



Last night, returning from the warm hamam, I passed by the garden of the old imam,

And lo, in the garden, in the shade of a jasmine, there with a pitcher in her hand stood Emina.



Ja kakva je, pusta! Tako mi imana,stid je ne bi bilo da je kod sultana!

Pa još kad se šeće i plećima kreće…- Ni hodžin mi zapis više pomoć neće!…



What beauty! By my faith I could swear, she wouldn’t be ashamed if she were at the sultan’s!

And the way she walks and her shoulders move . . .not even a hodja’s amulet could help me!



Ja joj nazvah selam. Al’ moga mi dina, ne šće ni da čuje lijepa Emina,

No u srebren ibrik zahitila vode pa po bašti đule zalivati ode;



I offered her salaam, but by my faith, beautiful Emina wouldn’t even hear it.

Instead, scooping water in her silver pitcher, around the garden she went to water the roses.



S grana vjetar duhnu pa niz pleći puste, rasplete joj one pletenice guste,

Zamirisa kosa ko zumbuli plavi, a meni se krenu bururet u glavi!



A wind blew from the branches down her lovely shoulders unraveling those thick braids of hers.Her hair gave off a scent of blue hyacinths, making me giddy and confused!



Malo ne posrnuh, mojega mi dina, no meni ne dođe lijepa Emina.

Samo me je jednom pogledala mrko, niti haje, alčak, što za njome crko’!…



I nearly stumbled, I swear by my faith, but beautiful Emina didn’t come to me.

She only gave me a frowning look, not caring, the naughty one, that I’m crazy for her!

  
Doch wer war sie, diese Emina, für deren betörende Schönheit Aleksa Santic so wunderbar melancholische, traurig-schöne Worten fand? 
Emina Sefic war die Tochter eines wohlhabenden, muslimischen Händlers aus Mostar, die stets bezaubernd lächelte, ein heiteres Wesen hatte und hübsch gewesen sein muss, schenkt man den Berichten Glauben. Demzufolge liess sie niemals jemanden spüren, dass sie aus reichem Haus kommt, so war sie in ihrem Benehmen höflich und bescheiden, fast demütig. Ein Beispiel dafür war die Tatsache, dass sie selber oft Wasser im Brunnen des Gartens holte und die Blumen goss. Hier sah sie Aleksa Santic oft, er lebte in Eminas unmittelbarer Nähe und traf sie häufig auf dem Weg zur Schule oder in die Moschee und doch wechselten sie nie ein Wort miteinander. Sie war 16, als er ihr zu Ehren das Gedicht schrieb, doch ihm moralisch verwerfliche Absichten zu unterstellen wäre schlichtweg falsch, sagte ihr Urenkel Reuf in einem Interview. Emina heiratete kurz vor ihrem 20. Geburtstag den angesehen Händler Avdaga Koluder, heute leben ihre Enkel und Urenkel weit verstreut, aber zum Teil auch noch in Mostar. Sie starb 1960 und hinterliess mit ihrem Leben ein wertvolles Vermächtnis. Ihre Lieblingsversion des Liedes stammt von Himzo Polovina, einem Urgestein des Sevdah, ihre Urenkelin Alma erzählte einmal im Interview, dass sie es sehr gerne hörte, trotzdem aber immer beschämt den Raum verliess, sobald es im Radio lief: