Samstag, 16. Mai 2015

einer von 8372 Gründen...




Mit Zahlen konnte ich noch nie gut umgehen, Kopfrechnen habe ich gehasst, Telefonnummern habe ich mir nie merken können und auf meinem Kontoauszug schaue ich nur ob ein + oder - vor den Zahlen steht. Doch eine Zahl beschäftigt, verfolgt mich geradezu und das ist diese 8372. 8372 Kinder, Jugendliche, Männer waren es nämlich, die in jenem schwarzen Juli 1995, in Srebrenica unschuldig ermordet wurden. 8372 steht für Srebrenica, Tod, Völkermord, Krieg. 20 Jahre sind seither vergangen, gemessen an einem Menschenleben eine lange Zeit, gemessen an der Geschichte nicht mehr als ein kurzer Augenblick..Und nun sitze ich hier, schreibe diese Zeilen an einem warmen Frühlingstag, während ich meiner Tochter beim Toben auf dem Spielplatz zusehe. Die Sonne scheint, Kinder lachen, schreien, die Luft riecht nach Frieden...Normalerweise würde ich lesen, die Kinder beobachten, den Sonnenschein geniessen, doch Srebrenica ist in diesen Tagen ein grosses Thema, wir bereiten die Info-Veranstaltung vor, die Demo steht an und so hängt gerade alles irgendwie mit dem Krieg zusammen. Die Gedanken, die ich mir mache, passen nicht hierher. Zu morbide sind sie, zu verstörend... Ich lasse meinen Blick schweifen und denke: Was wenn wenn jetzt hier eine Granate einschlägt? Was, wenn eine Heckenschütze jetzt eines dieser süßen, unbekümmerten Kinder erschiesst?  Ein absolut unrealistisches Szenario, ich weiss und ich danke Gott und meinem Schicksal dafür. Das Schicksal meinte es gut mit uns: Meine Eltern entschieden sich Anfang der 90er nach langem Hin und Her, doch in Deutschland zu bleiben, ich ging in die Schule, alles lief nach Plan. Im Januar '91 wurde mein Bruder in die JNA, die jugoslawische Nationalarmee einberufen-  nicht ahnend, was uns bevorstehen sollte, feierten wir noch mit ihm in Capljina, wo er stationiert war, mein Vater stolz, meine Mutter besorgt, ich mit meinen 12 Jahren ohne Plan, was da gerade passiert. Kurz darauf, die Meldung, dass Slovenien ein eigenständiger Staat wird, erste Panzer der JNA fahren auf slovenischen Boden und mit den ersten Kriegsbildern in Slowenien verbinde ich vor allem die Angst um meinen Bruder, ich habe heute noch seine verzweifelte Stimme im Ohr, als er meinem Vater sagt, dass er doch nicht auf sein Volk schiessen kann. Unzählige Telefonate, einige durchgeheulte Nächte, Tage voller Panik und 10000 DM später stieg mein Bruder aus dem Flugzeug und erst jetzt, da ich selber Mutter bin, verstehe ich im Ansatz, wie befreiend ihre Tränen gewesen sein müssen, als meine Mutter ihn in den Arm nahm. Der Krieg nahm seinen brutalen Lauf, hinterliess eine blutige Spur durch den Balkan, erst in Slovenien, dann in Kroatien. Jeden Tag erschreckendere Bilder, beunruhigendere Nachrichten, zu Hause wurde immer weniger gelacht  und doch war das alles noch irgendwie fern für mich 12jähriges Kind. Der Krieg brach dann in Bosnien aus und wurde für mich greifbarer, grausamer, unmenschlicher, als immer mehr Familienmitglieder zu uns flohen: Eine Cousine, die vom Heckenschützen getroffen wurde und der man das Bein amputieren musste; eine weitere, die von Granatsplittern so schwer verletzt wurde, dass sie seitdem rechtsseitig gelähmt ist; meine Tante, Serbin, hochschwanger mit zwei kleinen Kindern... Wir lebten zeitweise zu neunzehnt in vier Zimmern, teilten unsere Ängste, unsere Sorgen auf kleinstem Raum - in Erinnerung geblieben sind mir vor allem das Zusammenzucken jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, in Erwartung einer weiteren Hiobsbotschaft und die fassungslosen, entsetzten Blicke, wenn wir uns abends vor dem Fernseher versammelten und hilflos dabei zusahen, wie Häuser brannten, unschuldige Menschen vertrieben und ermordet wurden...Dann im Juli 1995 die Bilder in Srebrenica, Ratko Mladic wie er Kindern, deren Väter er später erschiessen lässt, Schokolade gibt, wie er die Frauen beruhigt: "Es wird euch nichts passieren". Bilder von niederländischen Soldaten, die "auch nur ihre Pflicht taten", Bilder von Massenexekution, Bilder, die ich heute, 20 Jahre später immer noch vor meinen Augen habe und ein Grund sind, warum ich jetzt diese Zeile schreibe.
Der Krieg fand schließlich ein Ende, ein Teil meiner Familie ging zurück nach Bosnien, mein Onkel und Tante nach Amerika, meine Cousine mit ihrer Familie nach Australien. Das Leben ging weiter, ich beendete meine Schule, meine Ausbildung, der Krieg schien nicht mehr als ein böser Traum... Bis ich dann 2006 bei meiner Freundin Emina zu Besuch war, ihre Mutter, ein liebenswerte, starke Frau, setzte sich zu uns an den Tisch, machte sich eine Zigarette an und sagte nur: "Wir können ihn beerdigen." Sie meinte ihren kleinen Sohn, der mit ihrem Mann zusammen auf der Flucht in den Wäldern Srebrenicas erschossen wurde. Sie rauchte, erzählte ruhig, gefasst bis ihr bei dem Satz: "das einzige was ich von ihm habe, ist seine Kleidung.." die Tränen kamen. Ich sah sie an und hatte meine Mutter damals am Frankfurter Flughafen vor Augen... Zwei weinende Mütter, eine deren Sohn noch lebt und eine, die nicht einmal ein Foto ihres toten Sohnes hat. Nach 10 langen Jahren der Trauer, der Wut, der Verzweiflung konnte sie damals ihren Sohn endlich beerdigen und ihren Frieden finden. Jedes Jahr ist sie seitdem in Srebrenica. Jedes Jahr am 11.07., weint und trauert sie an seinem Grab. Sie weint um ein Leben, das ausgelöscht wurde, bevor es überhaupt begann.
Ihre Tränen sind der Grund warum ich bei Stuttgart #Srebrenica mitmache. 
Ihre Tränen sind der Grund, warum ich am 11.07. auf die Strasse gehe.
Ihre Tränen sind einer von 8372 Gründen, warum ich 20 Jahre später sage:

 ich bin Srebrenica, ich vergesse nicht!

Sonntag, 3. Mai 2015

ich heisse Adem Mehmedović, auch ich bin aus Srebrenica...



Im Zuge unserer Vorbereitungen für unsere Demo am 11.07. in Stuttgart, beschäftige ich mich gerade intensiv mit dem Thema "Srebrenica". Dabei stolpere ich immer wieder über Lebensgeschichten, die mich besonders berühren. Eine davon ist die von Adem Mehmedovic, einem jungen Mann, der die grausamen Ereignisse damals miterlebt hat und heute als Geschichtslehrer in Srebrenica lebt und arbeitet. Seine Geschichte habe ich mit seiner Erlaubnis hier übernommen.

ich heisse Adem Mehmedović, auch ich bin aus Srebrenica...

Als der Krieg anfing, war ich gerade mal sechs Jahre alt. Mit meinen Eltern lebte ich in einem kleinen Dorf bei Srebrenica namens Sastavci. Das Dorf bestand aus 20 Häusern, den Namen hatte es vom Zusammenfluss zweier kleiner Bäche. 
Bis zum Krieg war es ein Dorf wie jedes andere, die Menschen im Dorf lebten  und überlebten mit all ihren Sorgen und Nöten, mit all ihrem Glück, ihrer Trauer. Das Dorf zeichnete sich durch nichts Besonderes aus, war aber dennoch das Schönste. Als der Krieg anfing, trennte es die Fronten, wurde zum Ziel von Panzern und niederprasselnden Granaten. Und dennoch überlebte das Dorf mit seinen Bewohnern. Das Jahr 1993 war sehr schwer, es gab kaum Nahrung, der Granatenbeschuss, die ersten Toten im Dorf. Innerhalb weniger Tage trafen Granaten unser Haus, mein Vater besserte so gut es ging, die Schäden aus. Als der Winter kam, wollte mein Vater meine Mutter und mich nach Tuzla schicken, doch wir blieben. Srebrenica wurde zur Schutzzone erklärte und die Hoffnung, dass es nun besser wird, wuchs. 
1994 kam meine Schwester Ademira zur Welt. Erstaunlich viele Kinder wurden in unserem Dorf während des Krieges geboren. Alle jüngeren Eltern wollten ein "Kriegsbaby", doch insgeheim wollten sie nur jemanden zurücklassen, falls sie nicht überleben. In diesem Jahr kam ich in die erste Klasse und damit verbunden sind meine Erinnerungen, wie auf dem Weg zur Schule auf uns geschossen wird oder wie ein Heckenschütze meinen Freund Mujo niederschoss und verletzte. 
Dann 1995 - das schwerste und härteste Jahr. Es kam der schwarze Juli. Srebrenica stand unter feindlicher Belagerung und es war nur eine Frage von Tagen, von Stunden bis Srebrenica fällt. Als es soweit ist, fliehen die Frauen mit den Kindern nach Potočari, die Männer in die Wälder. Und auch wenn du nur ein Kind bist, du weisst, dass etwas nicht in Ordnung ist. Du weisst, dass du deinen Vater, deinen Onkel vielleicht zum letzten Mal siehst. Deine Schwester
vielleicht zum letzten Mal an der Hand hältst...

Potočari 11. juli

Mein Vater floh mit seinen Brüder in die Wälder um Srebrenica... meine Mutter, Schwester, ich und die restliche Familie kamen in Potočari vor der UN-Basis an. Dort sah ich das erste Mal serbische Soldaten und begriff, dass sie wie normale Menschen aussahen (in meiner Vorstellung waren sie Monster, Ungeheuer, später sollte sich herausstellen, dass ich damit gar nicht so falsch lag) Ich dachte, sie würden uns nichts tun, da sie keine Monster waren. Es hiess, dass in die Busse nach Tuzla zuerst die Frauen mit ihren Kindern steigen sollten und ich dachte, gut, wir fahren nach Tuzla und fragte mich, wo denn dieses Tuzla überhaupt ist...Als wir uns einem Bus näherten, hielt uns ein serbischer Soldat an. Er packte mich am Hals und sagte zu meiner Mutter: Nimm die Kleine, aber er bleibt hier, er fährt mit dem anderen Bus. Ich wusste nicht, wie mir geschieht, meiner Mutter ging es genau so, erstarrt und regunglos stand sie nur da. Er wiederholte, dass sie in den Bus steigen soll, während er mich zu der Gruppe Männer, die man von ihrer Familie getrennt hatte, schubste. Doch meine Mutter stand noch immer regungslos an der gleichen Stelle. Die Hand um meinen Hals fühlte sich schwer an, genau so schwer, wie die Tränen in den Augen meiner Mutter. Ich hatte Angst, doch ich konnte nicht mal weinen... Doch es schien so, als gäbe es auch unter den Monstern Menschen, denn ein anderer Soldat kam auf uns zu und sagte zu dem, der mich festhielt: "lass ihn, du wirst noch genug zu töten haben" Tatsäch liess er mich mit den Worten: "verschwinde, zurück zu deiner Mutter" los. Alles dauerte nur ein paar Minuten, alles dauerte eine Ewigkeit. Wir stiegen in den Bus und irgendwann mal kamen wir in Tuzla an. 
Einige Tage später kamen dann auch mein Vater und seine Brüder an. Sie hatten es durch die Walder geschafft, doch viele schafften es nicht. Viele Kinder warteten vergeblich auf ihre Väter, viele Mütter auf ihre Söhne, viele Schwestern auf ihre Brüder, viele Frauen auf ihre Ehemänner - doch sie kamen nicht. 
Meine Familie ging nach Zavidovići, fing dort ein neues Leben an.

2014: Der 11. Juli nähert sich und mit ihm kommen die Erinnerungen...

19 Jahre später bin ich wieder in Potočari. In der Zwischenzeit habe ich mein Geschichtsstudium in Tuzla beendet, bin nach Srebrenica zurück gekommen, arbeite und lebe nun hier. . Fast jeden Tag komme ich an dem Ort vorbei, wo sie mich damals von meiner Mutter trennten...
Srebrenica, die silberne Stadt war dem Untergang geweiht, doch überlebte. 
 
Eine Stadt, ein Leben, eine Liebe - mein Alles“. Srebrenica.