Samstag, 23. August 2014

warum singt die Trauer schöner als das Glück? - der Versuch einer Antwort

Mostar, Foto @ Lejla Tabak Siljak
Ein lieber Freund von mir beantwortete meine Frage mit der ebenso simplen wie schweren Gegenfrage: warum? Spontan könnte ich so viele Gründe nennen und doch weiss ich es nicht, jede mögliche Antwort beruht nur auf meinem Gefühl und wie ich Bosnien wahrnehme. Man sagt, der Sevdah fliesst durch unsere Adern und ich frage mich, ob und wieso das dem so ist...
Liegt es denn tatsächlich daran, dass wir im uns Laufe der Zeit, im Laufe unserer blut- durchtränkten Geschichte daran gewöhnt haben, zu verlieren? Dass wir klagen, trauern, (rationale Menschen würden es jammern nennen) weil die Melancholie die Quelle unserer Kraft ist? Dass wir, indem wir durch das Loswerden unseres seelischen Mülls, Platz machen für die Liebe, die uns die Stärke gibt, wieder aufzustehen, weiterzumachen? Ich glaube nämlich nicht, dass wir grundsätzlich Jammerlappen, Klageweiber, emotionale Weicheier sind. Ja, wir neigen dazu, uns Opfer als zu sehen, standen wir doch im Laufe der Geschichte immer unter der Herrschaft anderer und doch sind wir stark, denn wir schafften es jedes Mal aufs Neue aus dem Nichts etwas aufzubauen, neu anzufangen - ob es Kriege oder Naturkatastrophen waren. 
Wir sind steinerne Schläfer mit einem Herzen aus Gold und einer Seele, wach und weit wie das blaue Meer. 

Wir sind so-  ein lebender Widerspruch und deswegen lieben wir, leben wir wahrscheinlich auch den Sevdah. Wir weinen, während wir singen, lachen, während uns das Herz blutet. Der Sevdah ist der Soundtrack des Moments, in dem wir uns einen Augenblick lang lächelnd zurücklehnen weil das Leben gut sein kann auch wenn die Welt in brennenden Trümmern liegt. 

Wer mich kennt, weiss wie sehr ich den Sevdah liebe und wie emotional ich sein kann. Geprägt von einem Alltag und Umfeld, in dem ich professionell freundlich sein und immer auf den Punkt funktionieren muss, ist der Sevdah meine Flucht, meine Entschleunigung, meine Art die böse Welt da draussen für einen Moment zu vergessen, den Kopf auszuschalten und auf mein Herz zu hören.
Mit dem Lied  "Kisa bi pala" zum Beispiel verbindet mich eine schöne wie schmerzhafte Erinnerung, der Moment an dem ich anfing Sevdah zu lieben, ihn durch meine Adern fliessen zu lassen als Teil meines Selbst. 



 Kisa bi pala, pasti ne moze, kisa bi pala, pasti ne moze
sunce bi sjalo, sjati ne moze, sve zbog zalosti, Ibrahim-bega

Ibrahim-bega svezana vode, Ibrahim-bega svezana vode
svezana vode da ga objese, svezana vode da ga objese

Za njim pristaje, brat mu Alija, za njim pristaje, brat mu Alija
brate Alija, pazi mi djecu, pazi i moju, kao i svoju

Kad svojoj djeci, krojis haljine, kad svojoj djeci, krojis haljine
kroji i mojoj, kao i svojoj, nek se ne pozna da su sirocad


Der Regen würde fallen, doch traut er sich nicht
Die Sonne würde scheinen, doch traut sich nicht
Sie trauen sich nicht wegen Ibrahim-Begs Trauer

Sie führen ihn in Fesseln
Sie führen ihn in Fesseln, um ihn zu hängen

Ihm folgt sein Bruder Alija, 
mein Bruder Alija, passe auf meine Kinder auf
Wenn du deinen Kindern Kleider nähst, so nähe sie auch meinen, damit man nicht sieht,
dass sie arme Waisen sind. 


Die Erinnerung ist eine Momentaufnahme von der Hochzeit meines Bruders. Die meisten Gäste waren gegangen, am Tisch bei der Band sassen eine Handvoll Gäste mit dem Akkordeon-Spieler. Mein verstorbener Vater, Alija, ohne Vater aufgewachsen sass mit am Tisch und ein Freund stimmte dieses Lied an. Es war eines der wenigen Male, in denen ich meinen Vater, meinen Helden, meinen Fels in der Brandung weinen sah, ein paar Minuten später machte er schon wieder Scherze. 

Und so, genau so sind wir. Wir lachen, während uns das Herz blutet und weinen während wir singen....