Sonntag, 3. Mai 2015

ich heisse Adem Mehmedović, auch ich bin aus Srebrenica...



Im Zuge unserer Vorbereitungen für unsere Demo am 11.07. in Stuttgart, beschäftige ich mich gerade intensiv mit dem Thema "Srebrenica". Dabei stolpere ich immer wieder über Lebensgeschichten, die mich besonders berühren. Eine davon ist die von Adem Mehmedovic, einem jungen Mann, der die grausamen Ereignisse damals miterlebt hat und heute als Geschichtslehrer in Srebrenica lebt und arbeitet. Seine Geschichte habe ich mit seiner Erlaubnis hier übernommen.

ich heisse Adem Mehmedović, auch ich bin aus Srebrenica...

Als der Krieg anfing, war ich gerade mal sechs Jahre alt. Mit meinen Eltern lebte ich in einem kleinen Dorf bei Srebrenica namens Sastavci. Das Dorf bestand aus 20 Häusern, den Namen hatte es vom Zusammenfluss zweier kleiner Bäche. 
Bis zum Krieg war es ein Dorf wie jedes andere, die Menschen im Dorf lebten  und überlebten mit all ihren Sorgen und Nöten, mit all ihrem Glück, ihrer Trauer. Das Dorf zeichnete sich durch nichts Besonderes aus, war aber dennoch das Schönste. Als der Krieg anfing, trennte es die Fronten, wurde zum Ziel von Panzern und niederprasselnden Granaten. Und dennoch überlebte das Dorf mit seinen Bewohnern. Das Jahr 1993 war sehr schwer, es gab kaum Nahrung, der Granatenbeschuss, die ersten Toten im Dorf. Innerhalb weniger Tage trafen Granaten unser Haus, mein Vater besserte so gut es ging, die Schäden aus. Als der Winter kam, wollte mein Vater meine Mutter und mich nach Tuzla schicken, doch wir blieben. Srebrenica wurde zur Schutzzone erklärte und die Hoffnung, dass es nun besser wird, wuchs. 
1994 kam meine Schwester Ademira zur Welt. Erstaunlich viele Kinder wurden in unserem Dorf während des Krieges geboren. Alle jüngeren Eltern wollten ein "Kriegsbaby", doch insgeheim wollten sie nur jemanden zurücklassen, falls sie nicht überleben. In diesem Jahr kam ich in die erste Klasse und damit verbunden sind meine Erinnerungen, wie auf dem Weg zur Schule auf uns geschossen wird oder wie ein Heckenschütze meinen Freund Mujo niederschoss und verletzte. 
Dann 1995 - das schwerste und härteste Jahr. Es kam der schwarze Juli. Srebrenica stand unter feindlicher Belagerung und es war nur eine Frage von Tagen, von Stunden bis Srebrenica fällt. Als es soweit ist, fliehen die Frauen mit den Kindern nach Potočari, die Männer in die Wälder. Und auch wenn du nur ein Kind bist, du weisst, dass etwas nicht in Ordnung ist. Du weisst, dass du deinen Vater, deinen Onkel vielleicht zum letzten Mal siehst. Deine Schwester
vielleicht zum letzten Mal an der Hand hältst...

Potočari 11. juli

Mein Vater floh mit seinen Brüder in die Wälder um Srebrenica... meine Mutter, Schwester, ich und die restliche Familie kamen in Potočari vor der UN-Basis an. Dort sah ich das erste Mal serbische Soldaten und begriff, dass sie wie normale Menschen aussahen (in meiner Vorstellung waren sie Monster, Ungeheuer, später sollte sich herausstellen, dass ich damit gar nicht so falsch lag) Ich dachte, sie würden uns nichts tun, da sie keine Monster waren. Es hiess, dass in die Busse nach Tuzla zuerst die Frauen mit ihren Kindern steigen sollten und ich dachte, gut, wir fahren nach Tuzla und fragte mich, wo denn dieses Tuzla überhaupt ist...Als wir uns einem Bus näherten, hielt uns ein serbischer Soldat an. Er packte mich am Hals und sagte zu meiner Mutter: Nimm die Kleine, aber er bleibt hier, er fährt mit dem anderen Bus. Ich wusste nicht, wie mir geschieht, meiner Mutter ging es genau so, erstarrt und regunglos stand sie nur da. Er wiederholte, dass sie in den Bus steigen soll, während er mich zu der Gruppe Männer, die man von ihrer Familie getrennt hatte, schubste. Doch meine Mutter stand noch immer regungslos an der gleichen Stelle. Die Hand um meinen Hals fühlte sich schwer an, genau so schwer, wie die Tränen in den Augen meiner Mutter. Ich hatte Angst, doch ich konnte nicht mal weinen... Doch es schien so, als gäbe es auch unter den Monstern Menschen, denn ein anderer Soldat kam auf uns zu und sagte zu dem, der mich festhielt: "lass ihn, du wirst noch genug zu töten haben" Tatsäch liess er mich mit den Worten: "verschwinde, zurück zu deiner Mutter" los. Alles dauerte nur ein paar Minuten, alles dauerte eine Ewigkeit. Wir stiegen in den Bus und irgendwann mal kamen wir in Tuzla an. 
Einige Tage später kamen dann auch mein Vater und seine Brüder an. Sie hatten es durch die Walder geschafft, doch viele schafften es nicht. Viele Kinder warteten vergeblich auf ihre Väter, viele Mütter auf ihre Söhne, viele Schwestern auf ihre Brüder, viele Frauen auf ihre Ehemänner - doch sie kamen nicht. 
Meine Familie ging nach Zavidovići, fing dort ein neues Leben an.

2014: Der 11. Juli nähert sich und mit ihm kommen die Erinnerungen...

19 Jahre später bin ich wieder in Potočari. In der Zwischenzeit habe ich mein Geschichtsstudium in Tuzla beendet, bin nach Srebrenica zurück gekommen, arbeite und lebe nun hier. . Fast jeden Tag komme ich an dem Ort vorbei, wo sie mich damals von meiner Mutter trennten...
Srebrenica, die silberne Stadt war dem Untergang geweiht, doch überlebte. 
 
Eine Stadt, ein Leben, eine Liebe - mein Alles“. Srebrenica. 










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