Sonntag, 25. Oktober 2015

egal, wie lange man bleibt - es ist immer zu wenig 2. Teil

 

 klapper nicht mit den Pantoffeln...


 
 

In unmittelbarer Nähe der Tekija befindet sich das Haus der Familie Velagic.  1766 erbaut steht das Gebäude unter Denkmalschutz, im Haus befindet sich ein Geschichtsmuseum sowie zwei Terassen, wo man Kaffee trinken kann. Und tatsächlich, so habe ich das Gefühl, scheint die Zeit still zu stehen, sobald man den Hof betritt. Die Pantoffeln an der Tür wecken in mir eine leichte, sentimentale Wehmut: Ich sehe meine Oma vor mir, wie sie bei uns auf dem Dorf, in ihren Dimije mit einem Topf voll Sarma zu ihrer Nachbarin huscht und habe das Klappern ihrer Pantoffeln im Ohr. Manche Erinnerungen sind Gold wert und diese ist eine meiner liebsten... 





An der Tür heisst es erstmal: Schuhe ausziehen und die Zeitreise beginnt: Sämtliche Möbel und Einrichtungsgegenstände sind, sofern sie den Krieg überstanden haben, liebevoll, zeit- und kostenintensiv restauriert worden. Die Teppiche sind von Hand gewebt, die Kissenbezüge von Hand bestickt, man merkt, hier kümmert sich jemand mit sehr viel Liebe um jedes Detail. Ich schaue mich um und sehe sie vor mir sitzen, die Familie um die sinija, den runden Esstisch, auf dem Boden hocken und miteinander essen, reden, lachen. Dann im Anschluss der Kaffee, während die Kinder im Haus spielen. Ich betrachte die einzelnen Gegenstände und verliebe mich in die Oldschool Babywiege.





















  



Mirza Velagic schliesst mir die Tür zum hinteren Teil des Gebäudes auf, ein Steg führt über die Buna, ein frisch gereinigter Teppich trocknet gerade in der Mittagssonne und während die Sonnenstrahlen auf dem Wasser glitzern, spüre ich den Sevdah in mir, eine Mischung aus Lebensfreude und Nostalgie, Wehmut und Energie. Ein komisches, aber gutes Gefühl...





Wir gehen hoch zur Terasse, Mirza bringt uns zwei Kaffee und selbstgemachte Limonade. Er ist Anfang Zwanzig, studiert und im Sommer arbeitet er hier, wobei er es nicht als Arbeit empfindet sagt er, sondern als Lebensaufgabe. Sein älterer Bruder und er widmen sich dem Erhalt des Hauses und des Museums mit ganzem Herzen. Die Geschichte des Hauses sowie das kulturelle Erbe seien zu wertvoll um es dahinsiechen zu lassen. Leider sieht das die Regierung nicht so, denn auch wenn das Haus unter Denkmalschutz mit strengen Auflagen steht, sind die Brüder Velagic was die Finanzierung angeht, zum grössten Teil auf sich selber gestellt und jeder Antrag auf Fördergelder ein Kampf gegen Windmühlen. Während wir unseren Kaffee trinken, kommen immer wieder Touristen, setzen sich zu uns, man plaudert und es fasziniert mich immer wieder, wen es so nach Blagaj zieht. Ob es die österreichische, sehr sympathische Hippie-Braut auf einem Selbstfindungstrip, das ältere italienische Ehepaar oder eine ganze Gruppe türkischer Touristen ist, ich finde es spannend, sie zu beobachten, ihnen zuzuhören. Mit Sherry komme ich ins Gespräch, sie ist 36, aus den USA und hat vor 6 Monaten ihren gutbezahlten Job bei einem Fernsehsender in Detroit gekündigt, seitdem ist sie in Europa unterwegs. Sie kommt gerade aus Kroatien und ist begeistert vom Balkan. Gute zwei Stunden sitzen wir so da, reden, dann zieht sie weiter zur Tekija. Gerade als ich auch gehen will, kommt Manuel, ein Deutscher, der wissen will wann der Bus nach Mostar fährt. Er setzt sich zu uns, Mirza kommt mit der nächsten Kahva und wir ins Gespräch. Manuel ist im Rahmen eines Projektes für eine NGO auf dem Weg in den Kosovo und hier auf der Durchreise. Er erzählt uns vom Projekt, es geht um den Aufbau und Förderung eines Dialoges zwischen Albanern und Serben. Alter Schwede, denke ich mir, das wird eine kreative Herausforderung. Nicht nur, dass es ein schweres Thema ist, für einen Deutschen ist das erste Mal auf dem Balkan ein Schock, in jeglicher Sicht. Angefangen vom Alltag ohne Mülltrennung, Strassenverkehrsordnung und geregelte Öffnungszeiten der Läden bis hin zu einer Bürokratie, bei der man hinten und vorne nicht mehr durchblickt. Man merkt Manuel an, dass er schon seine Erfahrung damit gemacht hat, mir gefällt, dass er es mit Humor nimmt. Da er seinen Bus verpasst hat, nehme ich ihn nach Mostar mit, auf dem Weg erzählt er mir von seiner Arbeit und es beeindruckt mich, mit welcher Begeisterung aber auch Ernsthaftigkeit er davon erählt. Manuel, wenn Du das hier liest, bitte mach so weiter, denn das was Du machst, ist wirklich gut und wichtig! 

Nachdem ich ihn abgesetzt habe, gehe ich noch schnell einkaufen und eine Momentaufnahme auf dem Parkplatz zeigt mir, wie krass die Situation in Bosnien tatsächlich doch ist- barfuss oder Lackschuh. Entweder Du hast nichts oder Du hast alles - willkommen in Bosnien!




Abends treffe ich mich mit Freunden zum Essen. Wir sitzen auf der Terasse des Restaurants mit einem wunderschönen Blick auf die Alte Brücke und so entspannt die Stimmung ist, so ernst ist das Thema:


Nermin und Vahid sind gerade zurück aus Belgrad, wo sie Spenden an die syrischen Flüchtlinge im Park im Wert von 2000 € verteilen haben. Nermin ist Vorsitzender des Vereins "Zusammen für unsere Stadt" und ein Bilderbuchbosnier: renitent, stur, bisweilen anstrengend aber unglaublich herzlich und hilfsbereit. Er erzählt mir, was als nächstes geplant ist, sie wollen Rentner und Familien mit Brennholz für den Winter versorgen. Die Begeisterung, mit der er von den geplanten Aktionen spricht, beeindruckt und beschämt mich gleichzeitig,zeigt sie mir doch vor allem eins: es sind die am wenigsten haben, die am meisten geben!






 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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