Mittwoch, 28. Oktober 2015

egal, wie lange man bleibt - es ist immer zu wenig 4. Teil

 



Voll angekommen...

geniesse ich das Hier und Jetzt - bin auf dem neuesten Stand, was den Klatsch und Tratsch in meiner mahala/Viertel angeht, kenne jeden einzelnen "liegenden Polizisten" von Blagaj bis Mostar (sie heissen Spaha, Dzeko, Vedo und Mise) und der supernette Tankwart an "meiner" Tanke legt mir schon die Zigaretten und meinen Energydrink bereit, sobald ich komme. Das ist übrigens auch so etwas, was mir wie die Bäckereien, die nachts um zwei offen haben, fehlt: Der Tankwart kommt raus und nimmt dir das Tanken ab, nicht nötig aber schön. Und so selbstverständlich sich das auch anfühlt, so oft meldet sich dann doch der Deutsche in mir und zwar in den lächerlichsten Situationen. Beim Müll wegbringen zum Beispiel: Bei uns stehen drei Container und als ich gerade den Müll wegschmeissen will, kommt von der anderen Seite unser Nachbarsjunge, 17 und wirft seinen Müll aus einiger Entfernung in den Container. Blöderweise hat er es nicht mit dem Zielen und seine Tüte landet vor dem Container. Doch statt ihn auifzuheben, lässt er ihn einfach so liegen und der Deutsche in mir könnte kotzen. Es ist lächerlich wie gesagt, doch es sagt viel über uns und unser fehlendes Umweltbewusstsein und Verantwortungsgefühl aus, ob es jetzt der Container auf der Strasse oder ein Flussufer ist.

Bin mit meiner kleinen Cousine verabredet, wir treffen uns in der Altstadt von Mostar und ich kann es mir nicht verkneifen, ein paar typische Touri-Fotos zu machen. Für das Foto der Alten Brücke verdiene ich, finde ich,  Respekt und Anerkennung, bin dafür auf das 27 Meter hohe Minarett einer Moschee gestiegen. Hat nicht wirklich Spass gemacht, war es aber wert!





Meine Cousine verspätet sich und so nutze ich die Zeit und schreibe ein paar Postkarten an Menschen, die mir lieb sind. Ja, Postkarten, liebe Kinder, das sind so rechteckige Bilder auf festem Karton, da schreibt man etwas Nettes auf die leere Rückseite, wie zum Beispiel: Liebe Grüße aus Mostar, klebt eine Briefmarke drauf und schickt es den Menschen, an die man so im Urlaub denkt. Klingt komisch, ist aber so :-)
Ich warte in einem sehr coolen Cafe auf sie, es heisst Pecina/ Höhle, ist tatsächlich in einer Höhle drin, was bei 40 Grad perfekt für eine kleine Auszeit ist und das erste Mal seit langer Zeit, ärgert sich die Deutsche in mir nicht darüber, dass jemand unpünktlich ist, ein gutes Zeichen :-) 

Ich freue mich auf meine Cousine, die mein Stolz, meine Heldin und eine Kämpferin ist, wie sie im Buch steht . Sie wird dieses Jahr 29, im Krieg hat sie als Kind einen Granatenangriff in der Nähe ihres Hauses überlebt, allerdings hinterliessen die Splitter so schwere Schäden, dass sie seitdem rechtsseitig gelähmt ist. Sie kommt von der Arbeit und muss erstmal ihrem Ärger Luft machen. Sie arbeitet für eine NGO, berät Kriegsopfer, mit bleibenden körperlichen Schäden, in allen Belangen des Alltags. Diese Opfer sind angefangen von nötigen Therapien bis hin zu Prothesen usw. oft alleine auf sich gestellt und müssen sich vieles erkämpfen. Sie erzählt mir von dem Fall, den sie an dem Tag hat. Es handelt sich um einen ehemaligen Soldaten, im Krieg schwer verletzt, nur eingeschränkt arbeitsfähig, dem nun die finanzielle Unterstützung entzogen wird. Ich höre zu und betrachte sie dabei. Die Stärke und Entschlossenheit, mit der sie davon spricht, dass das eine Ungerechtigkeit ist und sie dagegen angehen wird, macht mir Hoffnung und Mut, dass in diesem Land noch nicht alles verloren ist. Denn zum Glück und Gott sei Dank gibt es junge Menschen, wie sie, die den Müll in Form von sozialer Benachteiligung, Ungerechtigkeit, Korruption und Vetternwirtschaft aufräumen können und hoffentlich werden. Ich lächle sie an und meine im Scherz: Du solltest in die Politik gehen, ihr lakonische Antwort: lass mich nur in Ruhe mit dem Scheiss...Wir quatschen uns fest und erstaunt stelle ich fest, wie spät es ist und ich nach Hause muss, da sich Besuch angekündigt hat.


Auf dem Weg zum Auto fallen mir einige Häuser auf, die 20 Jahre nach dem Krieg noch immer zerstört da stehen, Efeu wächst aus den Einschusslöchern und wie es so bei Vielem der Fall ist, fühlt sich auch hier anscheinend keiner zuständig. Ich komme an diesem Graffiti vorbei und verdammt denke ich mir, was läuft in diesem Land nur schief?

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